Sonntag, 25. März 2012

Die Geschichte - Teil 60


1994 waren die Onkelz erneut ohne Geschäftspartner. Nach dem unerwarteten Chart-Entry 1992 und 1993 war es klar, dass das nicht lange so bleiben würde. Im Spätherbst 94 kam es zur Annäherung zwischen den Böhsen Onkelz und Virgin Records.Die Münchener Plattenfirma Virgin, seit 91 Tochter der EMI, unter der Leitung von Udo Lange, besaß so etwas wie einen Kultstatus unter den großen Labels.
Zunächst stellte man im B.O. Managementbüro eine große Kiste zusammen. Darin waren alle Tonträgerveröffentlichungen der Onkelz enthalten, Videos vom Glatzengig im Berliner Bunker, Live aus dem Alabama, Onkelz wie wir usw. Dazu gab es umfangreiches Pressematerial, von "gelogen" über "grotesk" bis hin zu "korrekt" und "gut recherchiert", Fotos, Bandbiographien, Demotapes, Fanzines . . .. Eine Kiste, deren Inhalt die komplette Bandhistorie aufzeigte. Im Hause Virgin war man vorsichtig. Die ganze Aktion sollte nicht nach außen dringen, bevor man sich nicht 100% sicher war. Nur die engsten Mitarbeiter um Udo Lange waren in dieses Unternehmen, das im Herbst 94 den Decknamen "Rainbow Projekt" trug, eingeweiht. Stephan und Gonzo fuhren mehrere Male nach München, um dem Virginvorstand immer wieder Rede und Antwort zu stehen. Anhand von Interviews aus Fanzines konnten sie hier lückenlos nachweisen, dass ihre ersten öffentlichen Distanzierungen auf Frühjahr 86 datieren, und dass "Türken Raus" tatsächlich ein Lied aus der Punkzeit war. Weiterhin war es anhand des vorliegenden Indizierungsschreibens auch leicht nachzuweisen, dass die Zensoren von der Bundesprüfstelle etliche Passagen in den Texten falsch oder gar nicht verstanden hatten. Udo Lange hatte schnell durchschaut, was hier vorlag. "Schockierende Uninformiertheit!", war die Bezeichnung, die er später oft benutzte, wenn er sich für seine Entscheidung rechtfertigen musste. Die Onkelz unterschrieben im März 95 einen Vierjahresvertrag bei Virgin.


 
Glaubte man den Onkelz, dann würden sie ihren Weg an die Spitze der deutschen Hardrockszene gehen, und würden dann, wenn sie ganz oben ständen, den Laden dicht machen. Das war die Mission von Anfang an. Dagegen sein und den Weg zu Ende gehen, als Beispiel und Vorbild der Ablehnung, ohne sich parteipolitisch missbrauchen zu lassen. Dass dieser Weg eine Strategie war, wäre gelogen gewesen. Er ergab sich mit jedem Schritt, den sie taten, er kam aus ihnen heraus, aus dem Bauch. Auf dem Höhepunkt des Erfolges, auf der Spitze des Berges anzugelangen und dann zufrieden die Koffer zu packen, war ein Versprechen, das 1995 noch nicht eingelöst war. Würden die Böhsen Onkelz eine Geschichte werden, mit Anfang, Mittelteil und Ende ?
Als die Onkelz in die Top Ten vorrückten, ließ man bei WOM zunächst das entsprechende Feld im Regal frei. Stattdessen war dort ein Schild angebracht : "Dieses Produkt wird von uns nicht geführt !" Das hatte aber den nachteiligen Effekt, dass die Kunden neugierig wurden und genau nach diesem Produkt fragten. Daraufhin entschloss sich WOM, während dieser Wochen die nachfolgenden Bands alle eine Position aufrutschen zu lassen. Die Onkelz standen, obwohl auf Platz 5 in den Top Ten, bei WOM niemals in den Longplay-Charts. Es gab auch Radiosender, die über deutsche Bands und Musiker berichteten, die den Sprung in die Top Ten geschafft hatten, ohne die Onkelz mit einem Wort zu erwähnen.


 
Die Jüngsten Onkelzalben 95/96 waren verständnisvoller, aber nicht versöhnlich, gaben Hoffnung und klagten an. Einmal mehr setzten sie sich auf ihre ureigentümlichste Weise mit ihrer Vergangenheit und mit ihrem Leben auseinander. Keine andere Band vor ihr hatte das eigene Schicksal so massiv besungen, "herbeigelabbert" und zum Schicksal aller Beteiligten gemacht. Jeder kriegte das, woran er glaubte, was immer das war.
Die Böhsen Onkelz bemühten sich, ihren Fans etwas mit auf den Weg zu geben. Um die Lieder zu verstehen, musste man sie unpolitisch, widerstandsorientiert und onkelzphilosophisch betrachten. "Lieber stehend sterben" war ein Lied über Widerstand. Und "Wir schreiben Geschichte mit unserem Blut" war wörtlich zu verstehen. Die Onkelz nahmen Schuld auf sich und bluteten stellvertretend für das Land. Die Böhsen Onkelz waren die wichtigste deutsche Band der 90er Jahre.Nicht als Exportschlager, sondern als Gegengewicht, als Auffanglager für die, die sich nicht ergeben wollten. Der letzte Ort der Ausgrenzung war eben nicht links oder rechts, sondern in der Mitte, zwischen den Fronten, außerhalb des Parteiengefüges. Dort lag die Kraft, und die Medien wussten das, besser noch, sie wussten, wo es war, aber nicht was es war. Eine interne Auseinandersetzung, die das unbewusste Ziel einer Gewaltverarbeitung verfolgte. Was die Medien eigentlich kritisierten, war die Tatsache, dass es keine bürgerliche Form der Problembewältigung war. Kein Teetrinken, kein Diskutieren, sondern augenscheinlich ein trunkenes Gegröle. Es waren Rockkonzerte, verdammt. Eine Heilung, kein Aufhetzen. Ein Austreiben des Teufels, mit allem was dazu gehörte. Man musste es nur zu deuten wissen. Über einen Zeitraum von mittlerweile 15 Jahren, hatten die Böhsen Onkelz fest an sich geglaubt. Ihre Kraft entstand durch nichts anderes, als durch ihren Glauben an sich selbst.



 Immer wieder tauchten "heilende" Metaphern und Allegorien in den Songs auf. Die Texte wimmelten nur so von Sprüchwörtern und Gleichnissen, von eigenem Antrieb und eigener Kraft, und von Trotz gegenüber jeglicher Autorität. Selbstvertrauen war das zentrale Motiv. Kein Glaube an eine Konfession, an eine Regierung oder an das Fernsehen, sondern echte Unbeirrbarkeit, Starrsinn wenn nötig.
". . . spürt die Kraft, die euch umringt . . .", seit 15 Jahren brannten sie lichterloh, und genau deshalb zog es Jugendliche aus allen Ländern zu ihren Konzerten. Punks, Skins, Hools, Rocker und Teenies, Gymnasiasten und Sonderschüler, Azubis und Studenten. Weder das Klischee der "Anarcho-Punkband", noch das der "Nazi-Skinband", noch das der "satanischen Hard Rockband" traf den Kern der Sache.
Die Onkelz waren keine Band, die ihre Fans im Stich ließ und ohne sie in den Rockhimmel abhob. Die Onkelz nahmen ihre Fans mit, wie rüpelhaft die auch sein mochten. Solange diese Leute die Entwicklung nachvollziehen konnten und auf die Musik abfuhren, solange sie keine politischen Parolen grölten, sondern zuhörten und sangen, solange zogen die Onkelz diese Gruppe von Leuten hinaus ins Licht der großen Konzerthallen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen