Sonntag, 4. Dezember 2011

Die Geschichte Teil 50 - Talk bei Alfred Biolek

1992

Es war etwas passiert, was nach den Berechnungen und Prognosen der deutschen Musikindustrie niemals hätte passieren dürfen. Eine Band hatte mit ihrer Musik die Top Ten geknackt, ohne dass sie von oben "kontrolliert" oder "gepusht" wurde. Im Gegenteil, trotz massiven Boykotts und beispielloser Diffamierungskampagne. Seit dem Charteintritt der "Heiligen Lieder" benutzte die Presse zum ersten Mal den neuen und sehr einprägsamen Begriff "Rechtsrock". Mit dem "Rechtsrock" schuf man ein Medienphänomen von erlogener Größe und stellte die 200 000 Käufer der "Heiligen Lieder" als eine große radikale Bedrohung dar.

Am 3. Oktober hatten die Onkelz einen Gig in Kuhardt. Der örtliche Veranstalter rechnete mit 3000 Leuten. Zwei Drittel der Karten waren bereits verkauft. Der Gemeinderat hatte sich eilends zusammengefunden und den lokalen Organisator Gerd Weber zu einer Absage gedrängt.
Vor dem Konzert schrieb die Presse :
". . . beim Start der Deutschland-Tournee im schwäbischen Aalen besuchten etwa 200 - 300 Skinheads das Konzert, die sich mit Hitlergruß und ausländerfeindlichen Parolen bemerkbar machten. . . .aus Polizeikreisen verlautete, dass bei Onkelz-Konzerten immer mit Ärger zu rechnen ist . . ."
und nach dem Konzert :
". . . - Polizei verzeichnete störungsfreien Verlauf - Texte nicht zu verstehen . . . Kuhardt ist noch einmal davon gekommen . . . die Szene erinnerte mehr an einen Umtrunk im Freien, als an einen Aufmarsch gewalttätiger Skinheads . . . die zahlreichen Pickel im Gesicht verrieten, dass es sich eher um pubertierende Jugendliche, denn um gewalltbereite Rechtsradikale handelte . . ."
Im Oktober erschienen gut 60 Artikel in Illustrierten und Tageszeitungen, die sich mit dem "Rechtsrock" beschäftigten, und die Böhsen Onkelz als Aufhänger ihrer Recherche benutzten.Alle Artikel ließen sich auf die dpa-Meldungen des Septembers und Oktobers zurückführen. Viele Sätze aus dem Bericht von dpa-Korrespondent Carsten Hoffmann waren wortgleich übernommen worden.

Zeitgleich mit der Tagespresse wurde das Thema auch im TV aufgekocht. Im Herbst 92 war Stephan Weidner zu Gast bei "Boulevard Bio". "Kitsch, Kunst, Krawall - Musik in Deutschland" war das Motto der Sendung. Biolek machte zunächst auf die Musik der rechtsradikalen Szene aufmerksam, zählte die Namen der Hardcore Faschobands auf, um dann endlich beim aktuellen Erfolg der Onkelz zu landen.
Biolek : ". . . und sie werden nun, von der Presse auch, sehr stark in dieses Lager gezählt. Sie werden sogar als eine Kultband der rechtsradikalen Szene apostrophiert. Wie stehen sie dazu ?
Stephan : "Also, ich meine, da muss man wohl unsere Vergangenheit in Anbetracht ziehen, dass wir ´ne Zeit lang alle Skins gewesen sind, die ja bekanntlich einen leichten Hang zum Rechtsradikalismus haben . . .
Biolek : "Man sieht ihnen das gar nicht an . . .
Stephan : "Ja, komisch, ne ?"
Biolek : "Ja, aber Haare wachsen ja, wenn man sie nicht immer wieder schneidet . . .
Stephan : "So isses. Von daher können sie auch an der Länge meiner Haare feststellen, wie lange das schon her ist."
Stephan wiederholte zum 20. Mal, wie es zum "Türken raus"-Song gekommen war, welche Hintergründe dieser Song hatte und wie sie ihn damals empfunden hatten. Biolek wusste dann auch von der verbotenen Platte, so tief hatten "sie" schon gebohrt. Dass es dort Lieder mit nationalen Tendenzen gab, Gewaltverherrlichung und ein Lied in dem es ja eigentlich um Kindermord ging.
Langsam wurde Weidner warm : "Ich meine, es kommt immer drauf an, wie man Texte interpretiert. Wenn ich z.B. ein Lied über einen Kindermörder schreibe, heißt das längst nicht, dass ich ein Kindermörder bin. Sondern, dieses Lied wurde meines Erachtens total falsch interpretiert von der Bundesprüfstelle. Das Lied wurde zwar in der Ich-Form geschrieben, aber es sollte eigentlich nur aufzeigen, dass jeder, d.h. ihr Nachbar, mein Nachbar, rein theoretisch ein Kindermörder sein kann . . .
Irgendwann fiel dann endlich das Wort "politisch", auf das Alfred Biolek schon lange gewartet hatte.
Biolek : "Das, was man ihnen jetzt vorwirft ist hochpolitisch. Man sagt jetzt, dass sie einfach den rechtsradikalen Gruppen und zwar nicht den ganz extremen, nicht denen, die dann aus ihrem Konzert gleich losgehen und selbst ein Asylantenheim anzünden, sondern da gibt es andere Gruppen, so wie . . . die das also, äh, sehr viel perfekter, äh . . . vorbereiten. Aber man wirft ihnen vor, dadurch, dass sie sich nicht wirklich distanziert haben und dadurch, dass die neuen Texte auch sehr interpretierbar sind, dass sie sozusagen den ganzen Mitläufern, die ja dann bei den Asylbewerberheimen stehen und zumindest rufen und moralisch unterstützen, dass sie die in ihre Konzerte locken und denen auch so eine Art geistiges Umfeld geben."
Stephan : "Also, das sehe ich ein bisschen anders, ich glaube schon, dass wir uns eindeutig geäußert haben. Nur das war nicht das, was die Medien hören wollten, d.h., in Interviews, in denen wir eindeutig unsere Meinung gesagt haben, wurde uns das Wort im Mund rumgedreht. Die Medien wollten uns in diese Richtung drängen und haben uns auch ganz bewusst als Aufhänger genommen."
Biolek : "Aber wo stehen sie denn dann jetzt, eindeutig ?"
Stephan : "Ich meine, ich steh hier."
Biolek : "Erst mal stehen sie nicht, sondern sie sitzen, und sie müssen ja eine Haltung haben jetzt."
Stephan : "Selbstverständlich habe ich eine Haltung. Ich kann natürlich nicht akzeptieren, was passiert. Ich akzeptiere weder, dass Molotowcocktails in Asylantenheime geschmissen werden, wo Kinder drin wohnen etc. Ich mag weder eine rechte Bewegung, noch eine linke Bewegung, die sind mir beide zuwider. Ich mag keine politischen Extreme.
Als nächstes war der "Name" dran. Eine eindeutige Distanzierung, so fand auch A. Biolek, wäre die Änderung des Namens. Zusätzlich forderte er eine klarere Stellungnahme in den neuen Liedern. Die Texte der Heiligen Lieder, seien ja wenig festgelegt, meinte er. Natürlich kannte Biolek weder die Entstehungsgeschichte der Band, noch die eines der vielen Onkelzalben, aber er wusste, dass wenn man die Texte im Kontext mit den alten Liedern sehen würde, dann hätten sie eine eindeutige rechte Aussage. Von den Distanzierungen der Band über die vergangenen 7 Jahre hinweg, wusste er anscheinend nichts.
"Deswegen kommen immer noch so viele Rechtsradikale zu ihren Konzerten."
Stephan : "Ich meine dazu, da ist mit Sicherheit auch die Presse dran schuld. Eben so Bands wie . . ., die würde kein Arsch kennen, wenn sie die Presse nicht ständig erwähnen würde. Das ist meine Meinung. Zum  anderen : Würden sie ihren Namen ändern, nur weil sie ihrem Nachbarn mal vor die Tür geschissen haben ? . . . . Das ist ein Teil meiner Vergangenheit. Ohne dass ich durch die Scheiße gegangen bin, weiß ich nicht, was gut ist."
Dann kam´s knüppeldick. Biolek : "Aber sie wissen, dass man auch früher, als die Linksradikalen das Land erstmals in Atem gehalten haben, auch ideologische Vorwürfe, etwa an Böll gemacht hat und gesagt hat, sie haben das ideologische Feld sozusagen bereitet. Und man könnte sagen, durch das, was sie jetzt machen und ohne dass sie sich dezidiert distanzieren, bereiten sie das Feld für Dinge wie Roststock."
Stephan : "Also wir tun ganz klar auf unseren Konzerten, weil wir diese Problematik natürlich auch gesehen haben, d.h., ich habe nie die Ambition vor einem Haufen Rechtsradikaler zu spielen. Und wir reden ja auch immer von einer kleinen Gruppe, die auf Konzerten anwesend ist, die sage ich mal ein Faible für härtere Musik hat."
Biolek : "Ja, aber die Musik. Härtere Musik gibt es ja überall, auch bei Heavy Metal und so . . ."
Stephan : "Mich stört´s einfach nur, wenn wirklich . . . ich spiel vor 5000 Leuten und dann sind eben 50 Glatzen drin, und wir reden hier immer nur über die 50 Glatzen und nicht über den Rest."
Um jetzt die rauhe Atmosphäre eines Onkelzkonzertes hautnah rüberzubringen, spielte Biolek eine Sequenz aus dem "Live in Vienna" Video ein.
Biolek : "Wann war das ?"
Stephan : "War´n Haufen Glatzen da, ne ?"
Biolek : "Nö, auf diesem nicht. Auf diesem Video nicht."
Biolek konnte ihn mit fairen Mitteln nicht festnageln, also präsentierte er nun seinen Trumpf : Walter Wüllenweber, Journalist der Berliner Zeitung, der in der ersten Publikumsreihe saßund blumig seine Erfahrungen während eines Onkelzkonzertes in Kaiserslautern vor einem Monat schilderte. Aus Berlin war bis jetzt nur unqualifiziertes gekommen, wenn es um Onkelz-Berichterstattung ging. Wüllenweber hatte von Rockmusik keine Ahnung. Er gab zu Protokoll, dass er sich in den letzten Jahren auf das Thema "Rechtsextremismus" spezialisiert habe und auch aus diesem Grund auf dem Onkelzkonzert gewesen wäre. Als das Licht ausging, wollte er gesehen haben, dass das letzte hintere Drittel der Fans den Arm zum Hitlergruß hob und ihn während des gesamten Konzertes nicht mehr heruntergenommen habe. Die Band, so sagte er, habe sich nicht darum gekümmert. Höchst unwahrscheinlich, wo Stephan und Gonzo äußerst allergisch auf Hitlergrüße reagierten. Stephan beobachtete seine Zuschauer ganz genau. Es gab seit 89 immer wieder vereinzelte Skins, die sich vorgenommen hatten, Weidner zu provozieren oder die abchecken wollten, wie weit sie gehen konnten. In Kaiserslautern war es ähnlich. Genau vor Stephans Nase hatte sich eine tätowierte Glatze mit bloßem Oberkörper aufgebaut und grinsend den Arm zum Hitlergruß gestreckt. Sofort hatte Stephan seinen Bass abgeschnallt und ihn mit seinen Securityleuten rausgeschmissen. Das alles unter dem Beifall des gesamten Publikums.
Wüllenweber : ". . . Es hat z. B. eine Schlägerei gegeben, zwischen zwei Skins, . . . der Stephan hat da ein bisschen mitgemischt, die Musik ging weiter, offenbar hat das niemand als etwas Besonderes empfunden. . . Der Sänger, Kevin, hat dann von der Bühne gebrüllt, also ungefähr dem Sinn nach : "Ich sehe keine Türken, ich seh keine Neger, warum sollen wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen."
Stephan : "Sie sind ja wohl der größte Lügner, den ich je gesehen hab. Was erzählen sie denn für einen Scheiß. Ich hab einen von unseren Securityleuten auf einen Skin gehetzt, der den Hitlergruß gemacht hat, und deswegen war die Schlägerei. Was sie erzählen, ist ja wohl die größte Lüge, dass sie sich nicht schämen."
. . . .
Stephan zu Biolek : "Es gibt auch andere Zeugen für das Konzert, warum haben sie die nicht eingeladen ?"
Biolek : "Ich habe, äh, ein Journalist, der darüber geschrieben hat, äh, ich gehe davon aus, dass eine gewisse Sorgfaltspflicht eines Journalisten, also ich mein wenn er selbst . . .
Stephan : "Wissen sie, die Sorgfaltspflicht von Journalisten, habe ich oft genug kennengelernt. Ich habe Artikel über mich, da geht es um Ausschreitungen nach Konzerten von uns in Städten, wo wir nie gespielt haben . . .
Danach kam nicht mehr viel. Stephan bezog ein weiteres mal Stellung, ließ sich nicht festnageln und verwies erneut darauf, dass er jeder Zeit bereit sei auf einem Konzert "Rock gegen Rechts" aufzutreten, um seinen Standpunkt auch vor der Öffentlichkeit zu vertreten.
. . . .
Biolek : "Eine Frage Herr Weidner. Glauben sie nicht, dass viele heute nicht nur böse Journalisten sind, sondern, dass auch viele übersensibel sind wegen der Dinge, die passieren ?"
Stephan : "Natürlich. Das erkenne ich doch auch vollkommen an. Ich weiß auch, dass wir Fehler gemacht haben in unserer Vergangenheit. Das einzige, was ich möchte, ist einfach anzuerkennen, dass man sich verändert, dass man Erfahrungen sammelt, dass ich nicht derjenige bin, der ich vor 10 Jahren war, das sind sie auch nicht, und dass wir eine gewisse Entwicklung mitgemacht haben, Dinge erkannt haben, die Verantwortung erkannt haben.
Biolek : "Sie müssen verstehen, dassihnen das ewig . . ."
Stephan : "Warum muss ich das ? Warum können nicht ein paar Leute umdenken ?"
Spannung und Aufregung hatte Biolek versprochen. Aber eigentlich war es nur mies. Meinungsmache von vorn bis hinten. Das einzige wirkliche Highlight der Sendung war nur noch der Satz von Stephan zu Gotthilf Fischer, als er zu ihm sagte : "Bei ihren Konzerten sind wahrscheinlich mehr Rechtsradikale als bei unseren."

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