Freitag, 2. September 2011

Die Geschichte Teil 42


Kevin knallte das "Aitsch". Er war jetzt bei 2 Gramm pro Tag, das hieß, er gab ungefähr 5500 Mark im Monat für Heroin aus. Dazu kamen noch ein paat Tausender für Koks. Mit Alf hatte er sich endgültig zerstritten und schließlich ein Ladenlokal in der Albusstraße, unmittelbar neben der Cadillac Ranch, angemietet. Hier eröffnete er im Sommer 91 zusammen mit Auge seinen ersten eigenen Tattooladen, den sie "Golden Sword" nannten. Alle wussten von Kevins Heroinsucht und jeder sah wie haltlos er nach Trimmis Tod geworden war. Die Feiereien in der 28 hatten schlagartig aufgehört. Wenn Kevin alleine zu Hause war und sich zuballerte, passierte es manchmal, dass er sich etwas antat, dass er sich mit Messern malträtierte oder seine Möbel kurz und klein schlug. Kevin isolierte sich mehr und mehr von den Menschen, die nicht wie er an der Nadel hingen. Weidner war der einzige Mensch in Russells Umfeld, der ihm jedesmal die Meinung sagte. Stephan hielt Kevin gnadenlos den Spiegel vor. Ob er nicht merken würde, dass er sich den Herausforderungen des Lebens nicht wirklich stellte, dass er eigentlich nur davonlief und den Kopf in den Sand steckte ? Von Stephan bekam es Kevin knüppeldick. Oft waren sie kurz davor aufeinander loszugehen. Kevin zerbrach förmlich unter der Last, die auf ihm lag. Stephans Kritik und der bevorstehende Einstieg ins große Rockgeschäft, in Verbindung mit seiner Heroinsucht und dem Verlust des besten Freundes, die Probleme mit Moni und seiner Mutter, all das war mehr, als Kevin ertragen konnte.
Alle Lieder hatten einen konkreten Bezug zum gelebten Leben der vier Musiker, aber einige Stücke auf der neuen Platte hatte Stephan so geschrieben, dass sie aus Kevins Mund wie das Geständnis einer gewonnenen Erkenntnis klangen, so als wenn er manche Lieder nur für sich sang.


Zu einem großen Aufeinandertreffen von Onkelzfans und Onkelzgegnern kam es in der Nacht zum 25. Juli in Berlin-Neuköln. Ein Auftritt war für den 24.7. gebucht und gut 1000 Tickets waren verkauft worden. Der örtliche Veranstalter Ernie Loos wurde in den Tagen vor dem Konzert von der Presse als Nazi-Sympathisant diffamiert und abgestempelt. Überall konnte man Artikel lesen, in denen sich lokale Journalisten über den Fehltritt des Veranstalters ausließen. Vier Konzertagenturen sagten ihre künftigen Termine bei Loos ab, als sie von dem geplanten Gig der Böhsen Onkelz erfuhren. Bad Religion dürfte nicht auf der gleichen Bühne stehen wie eine "Nazi-Skin-Band". Und das obwohl Stephan einer der größten Bad Religion Fans überhaupt war und schwer auf die hochintelligenten Texte von Greg Graffin abfuhr.
Als die autonome Szene in Kreuzberg und Neuköln den Namen "Böhse Onkelz" hörte, drehte sie durch. Per Megaphon rief man den Widerstand zusammen. Etwa 100 Demonstranten machten sich schließlich auf den Weg, es den "Nazis" zu zeigen. Die Stadt Berlin hatte Ernie Loos und den Onkelz noch am selben Nachmittag eine einstweilige Verfügung reingereicht und ihnen gesagt, sie sollten das Equipment wieder einpacken, eine "Naziband" wollte man in Berlin nicht auftreten lassen. Loos verlegte den Beginn der Show einfach auf 24:00. Auf den nächsten Tag also, an dem die Verfügung nicht mehr griff und eine neue Verfügung während des Wochenendes nicht rechtzeitig beizubringen war. Was an diesem Abend passierte, war das, was später als das klassische Krawallklischee in Verbindung mit Onkelzkonzerten immer wieder Erwähnung fand. 400 Polizisten sicherten den Veranstaltungsort, während sie angegriffen wurden von Autonomen, die das Konzert verhindern wollten, von türkischen Kids, die sich hundsgemein provoziert fühlten und von Onkelzfans und Metal-Teenies, die mit ihren Tickets in die Halle drängten. Immer wieder gab es keilförmige Attacken von Jugendlichen gegen die Polizei. Die Onkelzfans bekamen reihenweise auf die Fresse. Von Autonomen und von Bullen gleichermaßen. In der Halle wurde durchgesagt, dass das Konzert es um 24:00 Uhr beginnen könnte, was den 200-300 Leuten, die schon drinnen waren, genug Zeit ließ, sich übel zuzurichten. Alle paar Minuten öffneten sich die Türen und jubelnde Fans kamen herein, die froh waren, dass sie es endlich geschafft hatten. Über Stacheldrahtzäune, durch Hintertüren, von allen Seiten, drängten versprengte Trupps vor die Bühne. Kaum einer, der nicht humpelte oder zerrissene Klamotten trug. Viele bluteten aus Nase oder Lippe. Irgendwann zog Auge sein Onkelz-T-Shirt aus und ging mit der Kamera vor die Tür. Unglaubliche Szenen spielten sich dort ab. Demonstranten rüttelten an Bullenwagen. Überall flogen Steine und brüllten Leute. Bullen prügelten auf Jugendliche ein, auch auf Mädchen. Brutal waren auch die Reaktionen der Presse. Die TAZ wusste am nächsten Morgen sofort den Schuldigen :
Die Böhsen Onkelz spielten rechte Lieder
. . . nach Polizeiangaben griffen rund 100 Demonstranten gegen 20:00 Uhr Polizeibeamte an, die zum Schutz der etwa 400 rechten Besucher aufgezogen waren . . .
. . . ein Polizist soll leichte Verletzungen erlitten haben . . .
. . . ein Skinhead soll mit einer Machete bewaffnet gewesen sein . . .
. . . die Rockgruppe Böhse Onkelz war vor Jahren durch neonazistische Texte bekannt geworden, von denen sie sich inzwischen angeblich distanziert haben. Axel Schulz : "Für mich ist eine Band solange eine Neonazi-Band, solange sie für Neonazis spielt . . ."
Skinheads waren dort gewesen, von denen einige vorläufig festgenommen wurden und nur wenige bis in die Halle gelangt waren. Von einem Nazipublikum und einer Naziband zu sprechen, erfüllte den Tatbestand von Rufmord.


"Wir ham noch lange nicht genug" erschien im August 91 und enthielt im Booklet folgende Nachricht an die Fans :
"Da uns die Öffentlichkeit und die Medien nicht die Möglichkeit geben, nur Teilwahrheiten verbreiten oder uns das Wort im Mund rumdrehen, wollen wir die Gelegenheit wahrnehmen, um Euch einiges über uns und den Verlauf unserer Karriere zu erzählen.
Waisenknaben sind wir bestimmt nicht, und wir sind uns bewusst, Dinge gesagt und getan zu haben, die starke Kontroversen hervorgerufen haben. Darunter auch Äußerungen, die wir so nicht mehr nachvollziehen können. Die Reaktion der Medien steht aber in keinem Verhältnis zu dem, was wirklich war. Wir haben uns zu keinem Zeitpunkt als faschistische Band gefühlt, obwohl uns dies bis heute unterstellt wird. Der einzig positive Aspekt an dem Widerstand, der uns bis heute entgegen gebracht wird, ist der, dass unsere Freundschaft und der Zusammenhalt in der Band verstärkt wurde. Genauso gefestigt hat sich, in unseren Augen auch der Zusammenhalt zwischen Euch und uns. Wir wissen von den Schwierigkeiten, die ihr habt, wenn ihr Euch zu uns bekennt. Wir sind uns aber sicher, dass wir eines Tages diesen vorgefertigten Meinungen und Lügen über uns die Kraft nehmen.
Danke für Eure Unterstützung." - August 91
Stephan - Pe - Gonzo - Kevin

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