Mittwoch, 3. August 2011

Die Geschichte Teil 26

Kevin war zu einem der angesagttesten Frankfurter Tätowierer aufgestiegen, und in Alf Diamond´s Tattoostudio war ein Betrieb wie vor Weihnachten. Vom stahlharten Rocker der Frankfurter "Bones" über DJs und Szenetypen bis zum gescheitelten Frankfurter Äbbelwoi-Hengst und seiner gebürsteten Prollstute - alle ließen sich von Kevin Russell, dem Sänger der Onkelz, stechen.
Kevin wohnte mit Stephans Schwester Moni zusammen in der "28", dem Zwei-Zimmer-Loch auf der Weberstrasse. Er verdiente inzwischen viel Geld und seine privaten Kontakte reichten tief in die Frankfurter Metal- und Rockerszene hinein. Auch Kevin hatte sich endlich zu einem Wechsel entschieden und die meisten seiner Drähte und Verbindungen zur Skinheadszene gekappt. Seine Haare ließ er wachsen. Von einem Tag auf den nächsten. Nicht als ein Zugeständnis, sondern als eine neue Herausforderung zu neuem Protest und zu neuer Rebellion.
Im "Klapperkahn", einer Rockerkneipe in Frankfurt-Sachsenhausen, geriet Kevin zu Beginn des Jahres 88 wieder einmal in eine seiner heftigen Schlägereien. Es verging keine Woche, in der er nicht an einer brutalen Hauerei beteiligt war, die er entweder selber angezettelt hatte oder in die er begeistert hineinsprang.
An diesem Abend standen einige breitschultrige Krassmänner an der Theke und im Handumdrehen hatte Kevin zwei Köpfe zusammengeknallt. Tierisches Gebrüll und fliegende Gläser setzten augenblicklich die Energie frei, die es brauchte, um eine Kneipe zu zerlegen. Schnell wurde Russell zu Fall gebracht und genauso schnell saß Stefan Winter, ein gewalttätiges Rockerraubtier auf Kevins Brust, brach ihm drei Rippen und prügelte mit einem Barhocker auf seinen Schädel ein. Jeder, der einmal eine richtige Schlägerei miterlebt hat, kannte diese Leute, die solche Situationen dominierten. Diejenigen, die die gesamte Energie an sich rissen und abgingen wie ein Orkan. Die nie vom Gas gingen, nicht einmal, wenn der Typ auf dem Boden schon halbtot war und keinen Laut mehr von sich gab. Stefan Winter war so einer. Schultern von unglaublichem Format, äußerst schnell und hart, wenn es einmal losging und nur schwer zu stoppen. Dass Kevin überlebte, hatte er Auge, einem Freund Winters zu verdanken. Auge war ein vollbärtiger, langhaariger Rocker. Einer von der scheinbar harmlosen Sorte, dem man nicht sofort ansah, was er drauf hatte, bis es zu spät war und er sich als ebenso gefährlich, wenn nicht noch gefährlicher herausstellte. Auge hatte Winter von Kevin heruntergezogen, ihn abgebremst und aus der Kneipe geschoben. Erstaunlicherweise war Kevin nicht einmal bewusstlos. Er blutete zwar stark an Ellenbogen und Knien, dennoch stand er sofort wieder auf, lief aus der Tür und brüllte Auge und dessen Freunden Beleidigungen hinterher. Keine drei Wochen später waren sie die besten Kumpels.
Kevin kam gerne spät nachts nach Hause, auch wenn er wusste, dass Moni am nächsten Morgen um 5:30 aufstehen und arbeiten musste. Grundsätzlich brachte er 2/3 seiner unsensiblen Kollegen mit, die, wenn sie reinkamen, sogleich die Anlage aufdrehten und die auf den Teppich spuckten. "Die 28", diese Bezeichnung war inzwischen zum feststehenden Begriff für Kevins Wohnung geworden, verkam mehr und mehr zu einem übelriechenden Tempel des Exzesses. Kevin vorne, Kevin am härtesten, Kevin am schlimmsten. Moni war mit ihren Kräften schnell am Ende. Im Herbst 87 fand sie eine neue Wohnung auf dem Sandweg und verließ die 28 unter Tränen. Als Moni fort war, wurde es noch schlimmer. Hier war nicht von Ruhestörung die Rede. Was in der 28 abging, konnte nur noch als blanker Terror bezeichnet werden. Tätowiererfeten und Rockertreffen, einen unmenschlichen Lärm und asozialstes betrunkenes Gesindel beklagten die Nachbarn. Dort habe sich der Abschaum getroffen, sagten sie, dort liefen Lack- und Lederpornos und Horror-Videos in voller Lautstärke. Die 28 war schnell zu einem Ort der Besessenheit geworden. Die Polizei machte einen großen Bogen um die 28. Taxifahrern war die Adresse auf unangenehme Weise bekannt. Wenn sie Schnaps lieferten und danach ohne Bezahlung wieder vor die Tür gesetzt wurden, hatten sie großes Glück gehabt. Weniger Vorsichtige wurden in die Wohnung gezerrt und unter lautem Jubel und schlimmen Drohungen zum Mittrinken gezwungen. Die Tür war zu und wenn die Tür zu war, war drin, wer drin war, und die Tür blieb zu, manchmal von Freitag bis Dienstag, und sie wurde höchstens einmal geöffnet, um jemandem die Nase zu brechen oder den Dealer reinzulassen. Drinnen wurde unter infernalischem Krach gesoffen und gezecht, gelacht und gebrüllt. Mittendrin Helmut W., gewalttätigster Alt-Skin Deutschlands, der die erste Nase Koka seines Lebens schnupfen wollte und besoffen wie er war, den ganzen Haufen vom Tisch blies. 4 Gramm, 650 Mark, ab in den Flokati, egal. Kevin verfügte über viel Geld. Ab 87 sorgte er dafür, dass immer reichlich Drogen da waren. Trimmi zog mitsamt seinen 18 Vogelspinnen bei Kevin ein.

1 Kommentar:

  1. Genial ! Liest sich spannend wie ein Krimi und hat mich über viele neue Details aus Kevins Vergangenheit aufgeklärt. Danke dafür !

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