Donnerstag, 14. Juli 2011

Die Geschichte Teil 16

Stephan war ebenfalls aus innerster Überzeugung Skinhead geworden. Er stand permanent mit dem Rücken zur Wand. Grundsätzlich betrachtete er jeden Menschen zunächst einmal als Feind. Etwas drängte Stephan beständig zum Ausdruck und die Kreativität, die ihn trieb, konnte sich nur über Konfrontation entwickeln. Das Sendungsbewusstsein, dass er als 20jähriger an den Tag legte, war mehr Selbstverteidigung als alles andere. Sein wachsendes Nationalgefühl, sein übertriebener Patriotismus und seine Gewalt, waren nur die Fassade vor einer chronischen Revierangst. Der Skinheadkult und vor allen Dingen die Band war für ihn die einzige Möglichkeit, weiterhin das auszudrücken, was er fühlte, ohne dabei auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Das gleiche galt für Gonzo, nur war Gonzo nicht so jähzornig wie Kevin und Stephan. Das unbeschreibliche Gefühl von Skinheadidentität, hatte jedoch auch ihn eine zeitlang im Griff. Und Pe war Skinhead, weil er es als seine Pflicht empfand, mit seinen Freunden und der Band den gesamten Weg gemeinsam zu gehen.
Außer "Stolz", "Vereint" und "Freitag Nacht", hatten die B.O. 11 neue Stücke geschrieben.Stephan war über sich hinaus gewachsen und hatte allen Alkohol, der ihm zu dieser Zeit durch den Kopf ging in die Feder fließen lassen, "Alkohol" und "Freibier" waren zwei reine Sauflieder. So eindeutig, wie diese zwei Lieder, waren auch "Frankreich 84" und "Fußball und Gewalt". Sie drückten haargenau die Stimmung aus, wie sie von den Jugendlichen im Stadion empfunden wurde.

Die B.O. hatten einen einfachen einseitigen Vertrag über 3 LPs mit Egoldt abgeschlossen, in dem sie die Rechte an den Songs auf Lebzeiten an ihn abtraten. Egold wollte eine Auflage von 1000 Stück finanzieren, und für jede verkaufte Platte sollten sie eine Mark erhalten. Wieviele Exemplare des "netten Mannes"  seit erscheinen verkauft wurden, ließ sich nicht feststellen. Egoldt war schwer erreichbar und war niemals richtig in Erscheinung getreten. Telefonate brachten nichts ein, und im MTV-Studio während der Aufnahmen hatte er sich nur ein einziges Mal blicken lassen. Klein, dicklich, mit Loddelbart, "Gitarren lauter, Gesang leiser" , hatte er gesagt und war wieder verschwunden.
Die Resonanz der Szene auf die Platte war gewaltig. Das Titelstück "Der nette Mann" war ein Lied über einen Kindermörder. Gewalt gegen Kinder oder Frauen anzuwenden, war in Skinheadkreisen verpönt und bedeutete einen großen Imageverlust. Die zentralen Aussagen des Liedes waren die, dass Kindermörder und Kinderficker "perverse Schweine" waren, dass es sich dabei oft um nette Männer aus der Nachbarschaft handelte und dass jeder ein Kindermörder sein konnte, sogar der eigene Vater. Dieses Lied war nicht als Aufforderung zum Kindermord gedacht, das war eindeutig und wurde in der Szene auch nicht so verstanden.
Das Lied "Deutschland" drückte das wachsende Nationalgefühl der Bandmitglieder aus, das unter dem Einfluss der rechten Parteien die gesamte Szene und auch die B.O. erfasst hatte. Dieser Song erlangte in der Skinheadszene Ausschließlichkeitscharakter und galt als beispiellos. Nie zuvor hatte eine junge Band in Westdeutschland es gewagt, einen solchen Text zu schreiben, in dem zwar die Zeit von 33 - 45 als "zwölf dunkle Jahre" bezeichnet wurde, das aber ansonsten vor Patriotismus nur so strotzte. Der melancholische Einstieg der Gitarren, Kevins heisere treibende Stimme und das hypnotische Solo von Gonzo nach der 2. Strophe gaben dem Lied etwas, das von so tief innen herauskam, dass es den Skins in Deutschland reihenweise die Gänsehaut über den Körper jagte. Der Tabubruch lag in der Zeile "wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein". Ein Stolz, der in sich auch die dreiste Ablehnung von Schuld trug. Die Band drückte in diesem Lied die Zurückweisung einer Schuld aus, die ihnen als Heranwachsende von der älteren Generation auferlegt wurde. Wer als Deutscher in Deutschland aufwuchs, war automatisch mitschuldig, so lautete der allgemeine Konsens. Als die Onkelz das "Deutschlandlied" vertonten, dachten sie keine Sekunde an das dritte Reich. Die Onkelz waren keine Modeskins, sondern Skinheadsein war für sie die Summe ihrer Erfahrungen. Ihr innerster Ausdruck, und der hatte viel mit Hass und Gewalt zu tun. Die Band und ihre Musik waren immer nur Vehikel und Verpackung ihrer Geschichte. Mit Stolz war der eigene individuelle Stolz gemeint und keinesfalls ein Rassenbewusstsein.
"Der nette Mann" schlug ein wie ein Meteorit. Nicht nur ließen sich mindestens 30 Skins im Umkreis der Band das gleiche Böhse Onkelz - Tattoo stechen, wie es Gonzo, Kevin und Pe auf ihren rechten Unterarmen trugen, sondern es galt auch als äußerst schick in der Szene, die Onkelz persönlich zu kennen. Innerhalb weniger Monate nach Erscheinen des 1. Albums, verschwand die Band hinter einem dichten Schleier aus Gehörtem und Weitererzähltem. Was damals schon an Gerüchten über die Band kursierte, war nicht mehr normal. Jeder hatte schon mal mit ihnen ein Bier getrunken und jeder war mal mit einem von ihnen beim Fußball gewesen oder hatte bei einer Schlägerei Seite an Seite mit Kevin oder Stephan gekämpft. Die B.O. waren bereits zu diesem Zeitpunkt eine in Gerüchten und Legenden gehüllte Gruppe. Für die Bestätigung ihrer politischen Ausrichtung, gab es immer einige dubiose Augenzeugen, die genau gesehen haben wollten, wie Kevin oder Stephan den Hitlergruß gemacht haben. Stephan, Gonzo und Pe hatten nur sehr selten ihren rechten Arm gestreckt, höchstens einmal als Verarschung oder als Provokation. Sie hassten Nazisymbolik. Sie folgten niemandem außer sich selbst, und das würde sich auch in Zukunft nicht ändern.

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