Freitag, 24. Juni 2011

Die Geschichte Teil 8 - Oi, Oi, Oi

1980 - 1982
Aus der Menge an Bands gingen zwei Gruppen hervor, die in den wenigen Jahren ihres Wirkens, einen der größten Kulte, der jemals aus der britischen Arbeiterklasse entstanden war, zu neuem Leben verhalfen, dem Skinheadkult. "Angelic Upstarts" aus Tyneside, einer Werftarbeitergegend in Nord - London und die Fußballbesessenen "Cockney Rejects" aus dem Londoner Eastend. Sie waren weder Punks noch waren sie Skins, sondern schlicht Workingclass. Sie zogen gewaltige Scharen von Punks und Skins in die Hallen. Bei diesen Gigs kam es regelmäßig zu Schlägereien und blutigen Krawallen. Die Presse war auf blutige Fotos und Geschichten von randalierenden Fußballhooligans ganz besonders scharf. Ihre Berichterstattung war an Recherchefehlern und Lügen kaum noch zu überbieten. Diese Artikel gaben den Jugendlichen erst die präzise Anleitung, wie sie sich in Zukunft zu verhalten hatten, um diesem provokanten Bild zu entsprechen.
Feuer wurde mit Benzin gelöscht.
Der Sänger der "Rejects" hatte es sich zur Angewohnheit gemacht seine Songs mit einem hastigen Oi, Oi, Oi anzuzählen und lieferte damit der britischen Arbeiterjugend einen griffigen Schlachtruf.
Ab 1980 stand "Oi" für Punk ohne die Poser, für unsterilen, ehrliche Hardcore - Sound direkt aus dem Londoner Untergrund. Bis 1981 hatte sich "Oi" in den unteren Schichten Englands ausgebreitet.
Den wenigsten dieser Bands konnte man ein politisch motiviertes Image nachsagen, außer, dass sie mit der konservativen Regierung ihres Landes, der Arbeitslosigkeit in ihren Vierteln und der Unterdrückung ihrer Musik durch staatliche Zensoren nicht einverstanden waren. Was diese Bands im Sinn gehabt haben, war eine unpolitische Bewegung, die sich nicht zwischen Links und Rechts entscheiden sollte, sondern zwischen Richtig und Falsch, ohne dabei auf den Spaß von schnellen Konzerten und guten Partys verzichten zu müssen. Jugendliche ohne Aussicht auf Arbeit, Punks mit Irokesenschnitt, Bomberjacken und Doc Marten Boots und Hosenträgerskinheads, denen Margaret Thatcher und die Windsors am Arsch vorbei gingen.
Im Sommer 1981 erschien der zweite Oi - Sampler, "Strength through Oi". Der Titel war ein Wortspiel, dem das Hitlersche Reiseprojekt "Kraft durch Freude" = "Strenght through joy" zugrunde lag. Dummerweise war auf dem schwarz/weißen Cover der berühmt berüchtigte Skinhead Nicky Crane in klassischer Aggropose zu sehen. Crane galt als einer der führenden Köpfe des rechtsradikalen "Britisch Movement" und war angeblich durch einen Irrtum auf das Cover geraten. Die ultrafaschistoiden Mitglieder des "Britisch Movements" und der rechten Partei der "National Front" hatten schon Mitte der siebziger damit begonnen, die Skinheadszene massiv zu infiltrieren, nicht ohne Erfolg. Die Rassenkarte war gegenüber der gewaltbereiten Jugend ihr wichtigster Trumpf gewesen, der ihnen bei den Wahlen 77 ganze 250 000 Stimmen einbrachte. Dass die gesamte Szene nach rechts abwanderte oder dass die Oi - Bewegung von Beginn an einer nationalen Gesinnung nachhing, war gelogen. Dennoch, vielen älteren Skins waren die jüngeren gefolgt und in der Klasse zu sagen, "ich bin in der NF", brachte damals instant-respect auf dem Schulhof.
Jetzt, während des Revivals Anfang der Achtziger, gelang es den rechten Parteien erneut, Streit unter den Jugendlichen zu säen. Immer wieder prügelten sich die Fans untereinander. Niemals würden sich Skins und Punks zusammentun. Auf Grund des politischen Einflusses in ihrer Szene, war ihnen plötzlich nichts mehr gut genug. Der Mob wollte wissen auf welcher Seite seine Bands standen. Wer nicht Rechts war, war Links und wer kein Kommunist war, der musste ein Nazi sein.
Im Herbst 1981 erreichte "Oi" das Festland. Während der Skinheadkult von 69 in Groß-Britannien auf eine tiefverwurzelte Tradition innerhalb der Arbeiterklasse zurückblicken konnte und mit der Geburt von "Oi" ein furioses Revival durchmachte, war er in Deutschland ein neues Phänomen und zunächst völlig unpolitisch. Rejects, Upstarts und Gonads gehörten schon seit geraumer Zeit zu den anbetungspflichtigen Straßenbands der deutschen Punks, aber die neue Oi-Nachricht aus dem Mutterland der Jugendkulte gab den ermüdenden Großstadtszenen in Berlin, Hamburg und Frankfurt erst jetzt den längst fälligen Anstoß. Punks, das waren inzwischen 15jährige Hosenscheißer und Pißmannsgehilfen aus gutem Hause. Die waren nur Punks, weil sie es sich leisten konnten. Jedes zweite Kind auf einem Gettospielplatz war härter drauf als die. Berliner Boden war schon immer etwas fruchtbarer, wenn es um die Aussaat neuer Trends ging, und diesmal war es nicht anders. Gonzo und Kuchen hatten als erste Frankfurter begriffen, worum es ging und kamen im Oktober 81 mit kurzgeschorenen Schädeln von einer Berlinsauftour zurück. Als der harte Kern der FFM-Punx noch nach einem guten Halt suchte, lief Gonzo schon mit einem "Strength through Oi" T-Shirt durch die Gegend. "Kraft durch Oi", war die ironischste aller Metaphern und zu dieser Zeit auf geradezu makabre Weise real.
Am 14. November 1981 spielten die B.O. zusammen mit den Pseudos im türkischen Familienzentrum. Der Song "Türken raus" wurde hier als Lachnummer begrüßt.
Gonzo war einer der ersten Oi - Skins der Frankfurter Szene. Kevin, 18jährig, schwarzhaarig und noch als Asipunk, war sofort begeistert. Ein Oi - Punk/Skin zu werden erschien den B.O. als konsequenter und richtiger Schritt. Die Haare etwas kürzer und gepflegter zu tragen, mehr Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, jetzt, wo man volljährig war, sich trotzdem weiterhin den Schädel einzurennen und bei all dem Kampf die Band nicht sterben zu lassen, darin lag eine Herausforderung und die Hoffnung auf jede Menge Spaß. Noch im November schnitten sich Kevin und Stephan die Haare auf Streichholzlänge und tauschten ihre Mäntel gegen Bomberjacken.
Im Dezember 1981 nahmen sie ihre erste Single auf. "Idiot". Das Cover hatte Kevin gestaltet. Er hatte ein Schwert gemalt, um das sich eine Tattoo - Schärpe wickelte, auf der in altdeutschen Buchstaben "Böhse Onkelz - kill the Hippies Oi" stand. Neun kleine Fotos auf der Rückseite, auf denen die Onkelz zu sehen waren, ließen bereits den neuen Oi - Trend erkennen. Außer Pe sah niemand mehr aus wie ein Punk.

Donnerstag, 23. Juni 2011

Die Geschichte Teil 7

1981
Es gab lange Phasen, in denen es Kevin nicht besonders gut ging. SeineMutter war fast täglich betrunken und sein Vater war völlig ausgeflippt, als er Kevins grüne Haare gesehen hatte. Kevin musste sich unerbittliche Beleidigungen und kränkende Demütigungen gefallen lassen. Mit zunehmendem Alter begann Kevin bewusster unter diesen Umständen zu leiden. Tagsüber war er aggressiv und impulsiv und nachts wurde er von Alpträumen gequält. Immer ging es um Monster, Teufel und Qual, um Blut und Schrecken, oder Hexen und Dämonen aus der Vorhölle.
Zu dieser Zeit war Stephan zum ersten Mal richtig verliebt. In Pia.
Während des Sommers 81 gaben die B.O. mehrere erfolgreiche Punkkonzerte im Juz.
Im September 81 fand in der Batschkapp das "Radio Isnogud Festival" statt. Das war die Promotionveranstaltung eines Frankfurter Piratensenders. Es waren mehrere Frankfurter Hippiebands gebucht und zusätzlich sollte Punkrock gespielt werden. Das Publikum, zu dem an diesem Abend auch die B.O. gehörten, bestand zu zwei großen Teilen aus Punks und Hippies und zu drei weiteren kleinen Teilen aus Linken, Normalos und Freaks. Als die Hippiebands mit ihrem Set fertig waren und man sie gebührend ausgepfiffen hatte, wurden die B.O. gefragt, ob sie nicht spontan ein paar Pogosongs vortragen wollten. Die B.O. wollten schon, aber die Hippies hatten nicht die geringste Lust ihnen ihre Instrumente zu überlassen. Diskutiert wurde darüber nicht. Kevin verteilte erst ein paar Kopfnüsse und anschließend die Instrumente an seine Freunde. Das war ein Programm, genau auf den Geschmack der Punks abgestimmt. Ohrfeigen, klitsch-klatsch und in all dem Durcheinander legten die B.O. los. "Mehr Pogo", "Harakiri", "schöner Tag". Der Pöbel rockte. Nicht einmal die Hippies konnten still stehen bleiben. Als letztes Stück spielten sie ihr neues Lied "Hippies". Das hatte gesessen. Die ersten Flaschen segelten durch den Raum, vor der Bühne entbrannte eine Schlägerei und Kevin brüllte zu allem Überfluss auch noch "Hippies ins KZ" ins Mikro. Das war zuviel. Die Batschkappleitung  und das Publikum waren extrem verärgert. Unter lautem Geschrei und einem unbeschreiblichen  Pfeifkonzert waren die Onkelz grinsend von der Bühne gegangen. Stephan und Kevin entschuldigten sich ein paar Tage später und erklärten wie es dazu gekommen war, dass man sich hat hinreißen lassen und dass man gewiss nur provozieren wollte. - Drei Wochen später gab die Batschkapp ihnen eine neue Chance. Sie galten als zu gut und zu wichtig für Frankfurt, um einfach übergangen zu werden. 
 Am 7. Oktober 1981 spielten sie zum ersten Mal als Headliner in der Batschkapp. Das war nicht ganz unbedeutend.

Kevin wusste nicht wie er sein Leben gestalten sollte. Sein Vertrauen in das eigene Handeln war klein. Seine Großmutter riet ihm eine Lehre als Matrose zu beginnen.
Im Herbst zog Stephan zu Pia und ihrer Mutter Anna nach Gravenbruch. Anna war eine lässige Mutter und nahm Stephan wie ihren eigenen Sohn auf. Weil Stephan keine Arbeit hatte und Pia noch zur Schule ging, zahlte sie den beiden ein Haushaltsgeld von 600-, DM. Dafür sollten sie für die ganze Familie einkaufen und kochen, die Wohnung sauber halten und alle anfallenden Arbeiten erledigen. Über den Herbst und den Winter kochte Stephan jeden Tag für Pia und ihre Familie. Er mochte die Verantwortung, die er jetzt übernehmen musste und er genoss es, dass Anna ihm vertraute. In dieser Zeit lernte Stephan zum ersten Mal eine harmonische Familiensituation schätzen. Bisher hatte er zu Hause selten etwas anderes als Stress und Trauer erlebt. Die Situation bei Pia und Anna dagegen war liebevoll und entspannt. Niemals kam es zu Streitereien. Während Kevin sich seiner Zukunft nicht sicher sein konnte und eher ängstlich als zuversichtlich schien, wusste Stephan, dass er sich von Hösbach und seinem Alten abgenabelt hatte und dass er nie wieder dorthin zurückkehren würde.
Im Herbst 81 begann die Frankfurter Punkszene zu zerbrechen. Es war keine Spaltung, die sich von heute auf morgen vollzog, sondern eine langsame Trennung. Ein Prozeß, der sich über mehrere Jahre hinzog.

Mittwoch, 15. Juni 2011

Die Geschichte Teil 6 - Gonzo schließt sich den B.O. an

Im Januar 81 bekam Stephan ein neues Schlagzeug von einer Nachbarin.
Stephan, Kevin und Pe fuhren zum ersten Mal nach Frankfurt um den Punk zu suchen, was sie von da an jedes Wochenende taten.
In einer Kneipe trafen sie endlich auf die Frankfurter "Punkszene". Hofi war der erste, der sich den Jungs gegenüber öffnete. Er machte auf sie einen freundlichen Eindruck. Musik war ein Thema über das sie sofort stundenlang reden konnten. Über Hofi und die anderen Punks bekamen die B.O. Wind vom Juz (Jugendzentrum). Hier konnte jeder mit seiner Band auftreten.
Am Freitag, den 20. Februar 1981, spielten die B.O. zum ersten Mal im Juz Bockenheim. Im Frühjahr 81 waren sie noch die große Lachnummer in der Frankfurter Punkszene. Man musste sich aber schon nach kurzer Zeit eingestehen, dass diese 3 Jungs ein ätzend punkiges Verhalten an den Tag legen konnten.

Gonzo war Punkrocker und brauchte Anschluss. Im Januar 81 machte er sich mit einem Kollegen auf die Suche. Am Frankfurter Hauptbahnhof trafen sie auf den Punk in Form von 3 finster dreinblickenden Jugendlichen. Stephan, Kevin und Pe standen an der Haltestelle.Das Eis war schnell gebrochen. Schon in der Straßenbahn erzählten sie Gonzo von ihrer Band.
Für Freitag, den 8. Maiwar ein neuer Konzertabend im Juz angekündigt. Die B.O. hörten Gonzo bei den Proben mit seiner Band "Antikörper" und waren beeindruckt. Gonzo war ein richtiger Musiker, Ein Künstler, ein Virtuose. Stephan, Kevin und Pe entschlossen sich diesen Mann abzuwerben. Schon im Februar hatten sie eine Anspielung gemacht, auf die Gonzo aber nicht einging. Als sie ihn diesmal fragten, ob er bei den B.O. einsteigen wolle, sagte er zu. Er übernahm den Bass, während Kevin sang, Stephan die Gitarre spielte und Pe auf das Schlagzeug einprügelte. Am 8. Mai spielten sie neben den Songs "Harakiri" und "Türkähn raus", einen neuen Song, der "Hippies" hieß und der einen richtigen Text hatte.

Hippies
Lange Haare, Diskussionen
Haschisch rauchen, Depressionen
Hippies, Hippies, Hippies
ich kann euch nicht verstehn

Atomkraft - badge, patchouli duft
Genesis hör`n in der Matratzengruft
Hippies, Hippies, Hippies
ich kann euch nicht mehr sehn

Hippies, Hippies, Hippies
ich hass euch wie die Pest
Hippies, Hippies, Hippies
wir geben euch den Rest

Räucherstäbchen konsumieren
und für Frieden demonstrieren
Hippies, Hippies, Hippies
ich kann euch nicht verstehn

Hippies, Hippies, Hippies
ich will euch mal was sagen
ihr seid nur ein Haufen Scheiß
ich kann euch nicht ertragen

Zu viert konnten sie ganz anders auftreten. Mit einem Male fühlten sie sich wie eine richtige Band.

Montag, 13. Juni 2011

Die Geschichte Teil 5 - Kindheit von Gonzo

Matthias Röhr war der älteste von 4 Brüdern. er wurde am 16. April 1962 in Frankfurt geboren. Seinen Vater, der einen Lebensmittelladen und einen Kiosk hatte, sah er selten. Matthias war schmächtig und hatte ein gespanntes Verhältnis zu allen Klassenstärksten. Er verweigerte sich früh dem kirchlichen System. Er war ziemlich angekotzt von den katholischen Pfarrern und ihrer Einmischung in sein Leben. Mit 11 glaubte er daran, dass er im Namen der Musik unterwegs sei. Seine Mutter kaufte ihm eine Wanderklampfe. Ein 6seitiger billiger Sperrholzkörper, der sich schon verstimmte, wenn jemand im Zimmer hustete. Der Vater, der sich auskannte, ahnte bereits, mit was es enden würde. Mit einem langhaarigen, haschrauchenden, diskutierenden, faulenzenden, rebellierenden Sohn, dem ältesten von Vieren, der stets aufgelegt zu einem zünftigen Disput sein und der Bier saufen und sich daneben benehmen würde. Er konnte sich den Ärger bildlich vorstellen. Söhne, die Gitarre lernen oder Tänzer werden wollten, schwule Theaterfreaks und Töchter mit Tätowierungen, so etwas gab immer Probleme.
1974 zog die Familie nach Liederbach. Der Vater nahm zum Kiosk noch eine Wirtschaft hinzu, wo schließlich auch die Mutter ganztags arbeitete. Matthias war Nachmittags auf sich alleine gestellt. Mit 12 entschloss er sich Gitarre-Unterricht zu nehmen. Diesen brach er jedoch nach ein paar Wochen wieder ab. Er verkaufte seine Gitarre und erstand einen gebrauchten E-Bass. Ab 1975 übte er mit seinem Freund zu jeder erdenklichen Zeit im Keller.
Mehr als einmal kam es zu deftigen Auseinandersetzungen mit seinem Vater. Die Gitarre war da, die Haare waren schon verdächtig lang, der Krach war da und es fielen die ersten Widerworte. Wenn er jetzt auch noch Drogen nehmen würde, so würde es Herrn Röhr nicht wundern.
Herr Ullrich, ein Lehrer,manövrierte ihn in die Schulband, wo er Gitarre spielte und sang.
1975 war Matthias noch von Kiss schwer beeindruckt, aber ab 76 hielt er sich in Liederbacher und Kelkheimer Musikkreisen auf, von denen Kiss nur belächelt wurde. Nun musste er sich mit echter Rockmusik auseinandersetzen, wenn er dazu gehören wollte. er verkaufte seinen Bass, stieg auf E-Gitarre um und hing in Plattenläden - Hinterzimmern rum.
Aus Matthias wäre niemals "Gonzo" geworden, hätte er nicht fortwährend Ted Nugents "Double Life Gonzo" spazieren getragen. Auch Gonzo war von den Sex Pistols begeistert. 1978 stand er kurz vor der Mittleren Reife. In den Pausen trank er Bier und rauchte und er kam grundsätzlich zu spät zum Unterricht. Im Sommer 78 flog er von der Schule. Ihm war eine Lehre als Universalfräser sicher. 1980 trug Gonzo eine Lederjacke und Springerstiefel, und mit dem Umzug der Familie nach Frankfurt Bonames wurde er vom jugendlichen Landmetaller zur stets betrunkenen Stadtratte.

Freitag, 10. Juni 2011

Die Geschichte Teil 4 - Wie alles anfing

Der Puff begann Stephan anzuöden. Nach Silvester 79/80 sagte er seinem Vater, dass ein Bordell nicht sein Ding sei. Er wolle sofort aussteigen und sich was anderes suchen.
Peter hieß jetzt Pe und während des Jahres 1980hörten er und Kevin haarsträubende Geschichten von Stephan darüber, wie es in Frankfurt abging. Vom Punk und von Punkkonzerten und davon, dass man einfach immer dreckig sein musste und Alkohol zu trinken hatte und überhaupt hatte man gefälligst "Anti" zu sein. Wenn alle für etwas waren, dann musste man eben als einziger dagegen sein, weil es einfach geil war dagegen zu sein und weil es Spaß machte, wenn sich die Leute über einen aufregten.
"Dagegensein!"
Die drei übten eine magische Anziehungskraft aufeinander aus.
Manchmal kam Stephans Schwester Moni am Wochenende zu Besuch. Ihre Kindheit war ebenso problematisch und lieblos verlaufen wie die von Stephan. Mit 15 Jahren war sie still, schüchtern und verunsichert. Sie hatte ein Auge auf Kevin geworfen.
Nachdem Kevin, Stephan und Pe sich darüber klar waren, dass sie alle drei den Punk für die beste Erfindung des Universums hielten, war ihr nächster Gedanke, selber eine Band zu gründen.
Im Winter 80/81 gingen sie an einen Rodelhang und nahmen einem der Bälger den Schlitten ab, um diesen Deppenhang einmal anzutesten und um den Gören zu zeigen, wie man so einen Schlitten richtig einsetzte. "Vorsicht, da sind die bösen Onkels!" warnten die älteren Kinder ihre Geschwister.
"Böse Onkels", so wollten sie ihre Punkband nennen.
Pe kam schließlich mit einer E - Gitarre angelaufen. Stephan prügelte mit Schlagzeugstöcken auf einen alten Ledersessel ein und Kevin hatte kurz zuvor einen E - Bass aufgetrieben. Jetzt mussten nur noch Lieder erfunden werden. Es sollten Lieder sein, über Dinge, die ihnen auf die Nerven gingen und davon gab es ja reichlich. Ihr erster Song hieß "Wir scheißen auf den Rock`n Roll" und hatte außer dieser Zeile keinen Text, . . .und auch keine Melodie, . . . und bei genauer Betrachtung war es auch gar kein richtiger Song.
 Sie komponierten drei Hits.
"Harakiri", "Mehr Pogo" und "Türkähn raus". Stephan hatte ein NPD-Plakat geklaut, auf dem "Ausländer-Stopp" als Wahlkampfparole stand und hatte es in seinem Zimmer aufgestellt. Außerdem gab es in Frankfurt ständig üble Zwischenfälle mit den Türkengangs, also konnte man auch darüber singen und zusätzlich würden sich die Nazis aufregen, weil sie eine Punkband waren und die Nazis hassten Punks, das wusste jeder.
Türkähn raus besaß in Intro mit Marschmusik, eine richtige Melodie und einen Text von übler provozierender Aussagekraft. Zu dieser Zeit gab es noch keine feste Einteilung der Instrumente. Jeder sang und jeder durfte auf den Sessel eindreschen und die Gitarre oder den Bass zupfen. Pe hatte sich jedoch ein paar Dashtrommeln besorgt, auf denen er heimlich zu Hause das Schlagzeugspiel übte.
Stephan, Kevin und Pe waren seit dem 25.11.1980 eine Band.

Dienstag, 7. Juni 2011

Die Geschichte Teil 3 - Kindheit von Kevin

Stephan hauste in einem 12qm großen Kellerraum. Im Sommer 1979 hatte man ihm, aufgrund seines unverschämten Benehmens, den Hauptschulabschluss nicht erteilen wollen und wie schon einmal zuvor explodierte er mitten in der Schule. Auf seiner Kreidler war er durch die Flure der Hösbacher Hauptschule geknattert. Danach war er von der Schule geflogen. Im Moment schwankte er zwischen Punk und dem Puff hin und her. Tex war der Meinung, Stephan sollte beginnen seine eigene Kohle zu verdienen. Also nahm er seinen 16jährigen Sohn im Sommer 79 mit ins Bordell und stellte ihn seinen Kollegen vor.
Stephan war schlagfertig und frech, er ließ sich keine dummen Sprüche gefallen und konterte geschickt, was ihm schnell eine Menge Sympathien bei den älteren Luden einbrachte. Die Ludenprägung nahm ihren Lauf. Mit 16 übernahm Stephan einen Job hinter der Theke einer kleinen Kneipe, die dem Puff in der Allerheiligenstraße angeschlossen war.

In die Friedhofstr. 17, das Reihenhaus gleich neben Weidners, war im Frühjahr 77 eine Familie aus Hamburg gezogen. Familie Russell. Der Vater schien nie zu Hause zu sein, und die Mutter, so sagte man, hatte ein großes Alkoholproblem.
Stephan hatte sich mit dem älteren Sohn Kai angefreundet. Kais jüngerer Bruder Kevin wurde von den meisten Jugendlichen zunächst nicht für voll genommen.
Im August hatte Peter noch den Kontakt zu Kevin gesucht, aber seit September 79 traf er sich mit Kai und Stephan fast jeden Abend in Stephans Keller. Im Herbst kam schließlich Kevin dazu. Er war der mit der Armyjacke und dem Einschußloch. Ein zielloser schmächtiger Desperado von 15 Jahren, der dringend Anschluss benötigte. Er begriff sehr schnell, dass es in erster Linie um Spaß haben, saufen und "Anti-sein" ging. Wann immer es darauf ankam große Mengen Bier zu trinken oder viel Scheiße zu erzählen, gab sich Kevin die größte Mühe mitzuhalten.
Kevin Russell war am 12. Januar 1964 in Hamburg als 3. und verspätetes Kind in eine Familie von fragwürdiger Harmonie hineingeboren. Eigentlich war er schon das 3. überflüssige Kind in einer Ehe, die nie hätte geschlossen werden dürfen. Als Kevin noch ein Kind war, begann seine Mutter zu trinken. Der Anblick seiner betrunkenen Mutter verfolgte ihn täglich. Noch in Hamburg hatte er seine Mutter unzählige Male mit seinem Bruder bei der Nachbarin abholen müssen. Morgens um 4:00, in der Schubkarre.
Herr Russell, wenn er mal zu Hause war, brüllte seine Frau an und zusammen schrien und schlugen sie auf die Kinder ein. Viele Male hatte Herr Russell seine Söhne verprügelt, aber niemand musste so viel einstecken wie Kevin. Mit Gürteln, mit Holzlöffeln oder mit der Faust. Als er 15 war wurde die Gewalt seines Vaters allmählich weniger, von einer heilen Familiensituation konnte dennoch keine Rede sein. Der einzige Lichtblick im Zusammenleben der Russells bestand darin, dass Kevins Vater die ganze Familie einmal pro Jahr nach Kenia einlud. 1977 hatte er dort ein Haus gebaut, in dem die Familie regelmäßig Urlaub machte. Dort entdeckte Kevin seine Liebe zur Hochseeangelei, die ihn nie wieder losließ. Die meiste Zeit aber war Kevin allein zu Hause.

Montag, 6. Juni 2011

Die Geschichte Teil 2 - Kindheit von "Pe"


"Pe" Peter Schorowsky wurde am 15.Juni 1964 in Hösbach  in der Nähe von Aschaffenburg geboren. Ein weiterer Mensch auf der Suche nach Vollständigkeit. Peter trug die gleichen titanischen und provokanten Anlagen in sich wie Stephan Weidner, nur fehlte ihm die Wut und der Jähzorn. Mit fünf Jahren beschloss er ein Beatle zu werden. In der 3. Klasse wurden dem Kind einige grundlegende Dinge klar, die den Wunsch nach Ausdruck in seinem Leben noch verstärkten. Der Direktor der Hösbacher Grundschule, Herr Adler, war verrufen als ein sadistisches Schwein. Mit subtilen und gemeinen Bestrafungen ging er permanent gegen die Kinder vor. Peter begann früh seine Bücher und Hefte vollzukritzeln. Während der Grundschulzeit malte er unentwegt und einmal hatte ihn Herr Adler erwischt und ihm eine schallende Ohrfeige gegeben. Er wurde ins Lehrerzimmer geschickt, wo er unter dem Kruzifix sitzen und schmoren sollte. Spätestens von diesem Zeitpunkt an begann Peter die Welt der Erwachsenen in Frage zu stellen. Tief und breit Klafften die Schluchten zwischen dem, was sie sagten, und dem, was sie taten, und ihre Fehler waren so offensichtlich. Das konservativ-katholische Elternhaus und die Schule fingen an die Grenzen seiner Toleranz auszuloten.
 In der 7. Klasse bewarb er sich als Backgroundmusiker in einer Schulband. Zur gleichen Zeit (1978) zog Stephan mit seinem Vater nach Hösbach.

Für Peter war die Musik überlebensnotwendig. 1977 sah er zum 1. Mal die "Sex Pistols". Diese Band war so unglaublich anders, als alles, was er bis dahin gehört hatte. Punkrock. Das hörte sich nach Rettung an. Rettung in einer Zeit, in der er immer häufiger mit seinen Eltern und den Lehrern aneinander geriet.
Herrn Schorowsky waren die langen Haare seines Sohnes ein Dorn im Auge und mehr als einmal hatte Peter sich ein paar Ohrfeigen eingehandelt, weil er seinem Vater patzige Antworten gab. Der "Punk" würde mit all diesen Dingen aufräumen. Endlich Rückendeckung. "Sprich mich nicht an, ich hab keinen Bock auf dich", das war in etwa das, was Punk für Peter bedeutete.
Außerdem war er nicht allein. Da war dieser Junge auf seiner Schule, von dem man sich Ungeheuerliches berichtete und der einen extrem Piratenhaften und punkverdächtigen Eindruck machte. Seit Sommer 78 besuchte dieser neue Schüler aus der Großstadt Frankfurt die Hösbacher Hauptschule. Es hatte keine zwei Wochen gedauert, da hatte dieser Typ schon allen Spezialbauern aus der 9ten, die bisher die Unbesiegbaren waren, ein paar Zähne ausgeschlagen und jeder Schüler hatte es mitbekommen. Da war also ein neuer Sheriff an der Schule und der hieß Stephan Weidner.
Weidner kam krass und jeder war gewarnt. Der bevorzugte niemanden, der hasste alle. Peter war vorsichtig. Er war zwar von Stephans imposanter Frechheit beeindruckt, hielt sich aber dennoch von ihm fern. Er beobachtete ihn aus sicherer Entfernung. Gefährlich, wenn man mit ihm zu tun kriegte, aber aufregend, wenn man ihn auf dem Schulhof sah. Genauso wie dieser blonde Junge aus der Realschule gegenüber, den Peter schon oft beobachtet hatte. Der lief immer mit einer Armyjacke durch die Gegend, die ein Einschußloch auf dem Rücken hatte, über dem das Zauberwort Punk stand. Der und dieser Stephan waren ähnlich. Beide waren Außenseiter und kamen nicht aus Hösbach. Sie waren erst 15 oder 16, aber sie ließen sich nichts gefallen. Absolut respektlos, 100% dagegen. Gegen wen oder was eigentlich ? Das war im Moment noch egal, Hauptsache dagegen. Wenn man seine Gegner nicht sah und nicht wusste gegen wen man eigentlich kämpfte, musste man eben gegen alles sein und gegen jeden kämpfen. Irgendetwas war ja offensichtlich faul. 
Bis August hatte Peter einen respektvollen Abstand zu Stephan gehalten. Er begann eine Lehre als Schweißer. Abends nach der Arbeit, begann er dann in die Friedhofsstraße in Hösbach - Sand zu pilgern. Dort wohnte ein Freund von ihm. Außerdem konnte es ja nicht schaden, sich dort mal sehen zu lassen, am Trafohäuschen rumzulungern und mal ein wenig die Lässigkeit von diesem Frankfurter anzutesten.

Samstag, 4. Juni 2011

Die Geschichte Teil 1 - Kindheit von Stephan


Stephan Weidner wurde als Zwilling am 29.Mai 1963 um 12:57 Uhr in Alsfeld bei Kassel geboren. Er wurde bei seiner Geburt in zwei Hälften geteilt, und die erste Ahnung seiner Unvollständigkeit trieb ihn bereits früh in einen zwiespältigen Zustand von traumatischer Angst  und unbändiger Wut. Wer auch immer es in seinem zukünftigen Leben seine Feinde sein würden, sie würden es mit zwei Weidners zu tun bekommen, mit einem Menschen der die doppelte Menge an Energie besaß, der die Polaritäten der Welt in seiner Persönlichkeit miteinander verband und der schnell von einem Extrem ins andere fiel.
Als Baby schrie sich Stephan die Seele aus dem Leib und seine Mutter gab ihn oft zur Großmutter. Stephan wurde hin - und hergereicht. Mal lebte er bei der einen, mal bei der anderen Oma. 1966 ließ Karl - Heinz Weidner (Stephans Vater) seine Familie im Stich und stieg in die Geschäfte eines großen Hurenhauses ein. Aus K.H. Weidner, dem Familienvater wurde Tex, der Frankfurter Zuhälter.
Stephan war nach der Trennung der Eltern oft allein. Wenn die Mutter abends von der Arbeit nach Hause kam, wenn sie rauchte und weinte, so wie sie es immer tat, dann sperrte er sich in sein Zimmer ein und ließ niemanden an sich heran.
Fußball wurde früh zu einer großen Leidenschaft für Stephan. Wo es ihm an Schnelligkeit fehlte, konnte er mit seinen Dribbelkünsten überzeugen. Er stand wie ein Baum, ging ab wie ein Stier, war nur schwer vom Ball zu trennen und zeigte grundsätzlich intensiven, rustikalen Einsatz.
Er liebte die Eintracht.

Schon während der letzten Grundschuljahre prügelte er sich mit seinen Mitschülern. Er galt bereits früh als Störenfried der Extraklasse. Als er 12 war, gab es keinen Erwachsenen, dem er zugehört hätte. Er hasste die Schule und seine Lehrer von ganzem Herzen. Hausaufgaben machte er niemals. Gute Noten interessierten ihn einen Scheißdreck. Zu Hause wartete eh niemand, der sich vielleicht über eine 3 oder 2 gefreut hätte.
Gegen Mitte der 70er meldete sich sein Vater wieder öfter und kümmerte sich besonders intensiv um Stephan. 1976 zog Stephan zu seinem Vater. Er war jetzt 13 und besuchte die Elsa - Brandström - Schule. Er prügelte sich durch die 5. und 6. Klasse. In der 7. blieb er zum ersten Mal sitzen. Und weil er sich partout nicht anpassen wollte, blieb er gleich noch ein zweites Mal sitzen. Nach der Schule trieb er sich in der Stadt herum. Zigaretten rauchte er mit 13 schon seit 2 Jahren. Im Park am "Stadtbad Mitte" hatte ihm jemand den ersten Joint gereicht.
Ende des Schuljahres 77/78 sollte Stephan erneut sitzen bleiben. Er hatte die 7. Klasse im dritten Anlauf gemeistert und nun in der 8. wollten sie ihm erneut seine Versetzung verweigern. Er sei eine sittliche Gefährdung für seine Mitschüler und er müsse von nun an die Karmeliterschule besuchen, sagte man ihm. Auf die Karmeliterschule schickte man all die Härtefälle, mit  denen das Schulministerium nicht klar kam. Zwei Drittel aller Schüler waren Ausländer. Hier war nicht von den Söhnen der netten obstverkaufenden Türkin die Rede. Nein, hier ging es um krasseste Frankfurter Jugo-, Italo- und Türkenschläger, um Springmesser auf dem Schulhof, um Erpressung und Kinderbrutalität.
Stephan war der Meinung, er hätte genug getan, um in die 9. Klasse versetzt zu werden, aber seine Lehrer sahen das anders. Man wollte und konnte sich sein Verhalten nicht länger bieten lassen. Stephan, der sich ungerecht behandelt fühlte, hatte sich vorgenommen, den Lehrer, auf dessen Mist das alles gewachsen war, zur Rede zu stellen. Er platzte zusammen mit einem Freund in den voll besetzten Physiksaal und brüllte dem unterrichtenden Lehrer ins Gesicht. Er schubste den Lehrer beiseite und warf dessen Stuhl durch das geschlossene Fenster. Er kippte den Tisch des Lehrers um und steigerte sich mit jeder folgenden Sekunde in einen Hollywoodreifen Amoklauf. Mit ausgestrecktem Arm fegte er durch die Vitrinen, ließ teure Instrumente und kostbare Ausstellungsstücke zu Boden fallen und sprang darauf herum. Sprachlosigkeit und Unverständnis ließen sich auf den Gesichtern der Schüler nieder, als Stephan große Reagenzgläser aus dem Fenster warf. Stockender Atem, als der Bunsenbrenner hinterhersegelte, und tiefe Reptilienstarre fuhr ihnen in die Knochen, als er begann auf den Lehrer einzuprügeln. Ein 15jähriger Schüler, der Amok lief. Das war auch in Frankfurt eine Seltenheit. Andere Lehrer kamen herbei gelaufen, angelockt durch den Krach. Der Vizedirektor wollte eingreifen und fing sich sofort eine Ohrfeige von Stephan, einem anderen trat er gegen das Schienbein. . . .
Es gab 5 oder 6 Anzeigen auf einmal. Körperverletzung, Nötigung, Hausfriedensbruch, Diebstahl und verschiedenes mehr. Stephan bekam 145 Arbeitsstunden auferlegt und außerdem habe er, wenn er die 9. Klasse tatsächlich noch machen wollte, die Schule in einem anderen Bundesland fortzuführen.